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Sonntag, 31. Oktober 2010

Vom Bade im Hofe und anderen Begebenheiten

Es war einmal vor gar nicht allzu langer Zeit, da wurde versehentlich der einzige funktionierende Abfluss im Hofe des weißen Häuschens mit dem grünen Bäumchen davor in der Calle 39 in dem wunderschönen Cartagena zugeschüttet. 
Ob nun Miss- oder Unverständnis dazu führte, darüber rätselten die Bewohner vergebens. Jedoch stand fest, dass nun der Regen nicht länger durch das Loch im Hofe in die Unterwelt verschwand, sondern sich sammelte und sammelte und die Aussicht der Bewohner des Häuschens auf ein eigenes Bade im Hinterhofe erheblich erhöhte. 
Petra beim Wasserschippen
Und so begab es sich am Abend des dreißigsten Oktober, dass ein sehr starker Regen, um nicht zu sagen ein wahrhaftig tropischer Wolkenbruch einsetzte. Innerhalb von  wenigen Minuten hatte man das Bade im Hinterhofe. Doch das Wasser stieg weiter und den Bewohnern ward angst und bange, dass sich das Bade bis in ihre Gemächer verbreiten würde.
Und so trug es sich zu, dass das Wasser tatsächlich bis hinauf an den obersten Rand des Beckens schwappte. Da nahmen sich die Bewohner des Häuschens alle Eimer die sie bekommen konnten und schippten das Wasser aus dem Hofe. Sie schippten und schippten bis ihre Hemdelein nass und nässer waren. Doch nach einer Zeit verebbte der Wolkenbruch und das Bade breitete sich glücklicherweise nicht bis in die Gemächer aus.
Und die Bewohner des weißen Häuschens mit dem grünen Bäumelein in der Calle 39 des wunderhübschen Cartagenas lebten glücklich und zufrieden bis zum nächsten Wolkenbruch.

Soviel zu tropischen Abenteuern. Bevor ich hier war, ist das Haus aber wohl tatsächlich mal überflutet. Das ist allerdings mitten in der Nacht gewesen und niemand hat es mitgekriegt, bis eine Mitarbeiterin aufgewacht ist und festgestellt hat, dass vor ihrem Bett Wasser ist. Und wenn der Hinterhof nicht gerade überflutet muss man trotzdem noch befürchten, dass es von der Decke regnet. Zwar nicht in Sturzbächen, aber wenn es nachts anfängt in dein Bett zu tropfen ist das ja ärgerlich genug (zum Glück hab ich diese Erfahrung noch nicht gemacht). Als ich letztlich im großen Raum für freitags dekoriert hab, hab ich beim Luftballons an der Decke aufhängen dann auch festgestellt, dass man durch die Ritzen der Holzdielendecke durch Löcher im Dach die Sonne sehen kann. Und da wundert man sich dann, wenn es durch die Decke regnet…
Als sich alle wieder beruhigt hatten ist dann übrigens der Strom ausgefallen. Da das abends war standen wir plötzlich im Stockfinstern. Als wir dann gerade alle Kerzen die wir finden konnten zusammengesucht hatten ging das Licht dann plötzlich wieder an…

Tja was gibt es sonst noch zu berichten? Falls jemand noch nicht gesehen haben sollte, ich hab eine Fototour durch die wunderschöne Altstadt gemacht. Auf Facebook gibt’s alle Bilder zu sehen.
Ansonsten finde ich mich inzwischen ganz gut zurecht. Ich hab schon alle öffentlichen Verkehrsmittel benutzt, die zur Verfügung stehen. Taxi, Collectivo-Taxi, Collectivo, Bus und Moto-Taxi. Ich weiß welcher Bus zum Shoppingcenter und welcher ins Centro fährt. Und mein Spanisch ist zwar nicht so toll, wie ich es mir wünschen würde, aber ich kann mich soweit verständigen, dass ich in einem Buchladen nachfragen konnte, ob sie ein bestimmtes Buch dahaben (hatten sie leider nicht…) und das finde ich für mich persönlich schon mal wichtig.

Ich hab mich also recht gut eingelebt in diesem fernen Land. In diesem sehr katholischen Land. Ja, katholisch. Ich weiß nicht wie man das anders nennen soll, aber hier ist auf gefühlt jedem zweiten Bus ist hintendrauf ein Jesus oder eine Maria oder direkt beide zusammen. Unser Nachbar von gegenüber bekreuzigt sich manchmal, wenn er das Haus verlässt und gestern hab ich einen Jungen gesehen, der Kommunion hatte und in seinem weißen Anzug (inklusive weißen Handschuhen!) so sehr geschwitzt hat, dass er mir richtig leid tat. Einmal hab ich sogar einen Bus mit einer Window-Color-Maria hinten drauf gesehen (jedenfalls sah das stark nach Window-Color aus). Da hab ich mich dann gefragt, ob sich der Busfahrer ernsthaft zu Hause hingesetzt hat und diese Maria gemalt hat… mit Window-Color! Die Busse gehören nämlich immer dem Fahrer selber, demnach ist der auch für die Deko zuständig.
Llamada-Stand mit telefonierenden Kundinnen
Was auch ziemlich komisch ist, ist, dass hier wirklich fast alle ein Handy haben, selbst einige von unseren Kindern haben ein Handy, obwohl die wirklich, wirklich arm sind. Was aber so gut wie niemand hat ist Guthaben auf seinem Handy. Das heißt Handys sind eigentlich nur zum angerufen werden da. Nur wer soll dich anrufen, wenn niemand Geld auf seinem Handy hat? (Man kann hier nämlich generell nicht vom Festnetz auf Handy anrufen) Schwierig, oder? Aber dafür gibt’s die „Llamada-stände“,  also Anrufstände. Da sitzen dann so Leute, die haben 4 oder 5 Handys vor sich liegen (mit Guthaben!) und für ein paar Pesos kann man dann mit deren Handy telefonieren…  Ja, warum einfach, wenn‘s auch kompliziert geht, oder?
Manchmal weiß man allerdings auch nicht, ob man weinen oder lachen soll. Letztlich im Bus war zum Beispiel so eine Situation. Um sich das ganze vorstellen zu können, muss man erst mal wissen, dass die Busse hier jeweils eine Tür vorne und eine hinten haben (soweit ja nichts Besonderes), allerdings sind diese immer offen und es ist üblich, dass Verkäufer einsteigen, die verschiedene Dinge verkaufen wollen. Zum Beispiel kleine Snacks, wie Kekse und Chips oder Getränke (Wasser heißt hier „agua“, wird hier aber ausgesprochen wie „Aua“, was für einen deutsche doch ziemlich lustig ist, wenn ein Mann in den Bus steigt und laut „aua“ schreit…). Diesmal war es aber nichts materielles, was er verkaufen wollte, sondern etwas Künstlerisches. Ja, der junge Mann wollte seine Rapkünste zum Besten geben. Das an sich war schon mal lustig. Plötzlich ist der nämlich aufgestanden, hat seinen CD-Player angemacht  und angefangen zu der Musik zu rappen. Dabei ist der dann auch noch durch die Reihen gegangen. Als er seine Vorstellung beendet hatte wollte er natürlich Geld haben. Petra und ich hatten aber leider, leider kein Kleingeld bei uns… er hat uns dann gnädigerweise erlaubt auch Dollars zu geben. Hier halten dich nämlich, wenn du weiß bist, alle erst mal für eine "gringa", was eigentlich Amerikaner sind und nicht generell Weiße. Da haben wir ihm dann gesagt, dass wir nicht aus den USA kommen und dementsprechend auch keine Dollars besitzen. Da hat er sich dann animiert gefühlt zu raten, woher wir wohl kommen. Und da fing das Tragisch-komische an. Sein nächster Vorschlag war nämlich New York. New York liegt in den USA haben wir ihm gesagt. Doch er war nicht entmutigt. Argentinien? Venezuela? Wir beschlossen ihm einen Tipp zu geben und sagten ihm, wir kämen aus Europa. Ratet mal was darauf sein nächster Tipp war! Peru.
Unsere Kinder wissen es leider auch nicht besser. Als wir einmal nach Städten in Kolumbien gefragt haben, war eine Antwort Spanien… Aber ich will das ja nicht den Südamerikaner allein zuschreiben. Es soll schließlich auch deutsche Jugendliche geben, die Deutschland auf einer Deutschlandkarte nicht finden. (siehe "TV Total Integrationscheck Teil 4")

So das wars dann auch schon wieder. Ich sende euch die wärmsten Grüße aus der Karibik!
Hasta luego, bis bald! 
Larissa :) 

Freitag, 1. Oktober 2010

Ein Tag im Leben der Larissa W.

Falls ihr euch schon mal gefragt habt, was ich eigentlich den ganzen Tag hier so mache - hier hab ichs mal aufgeschrieben. Ist ein ziemlich representativer Tagesablauf, allerdings sind normalerweise die Abende frei... 

07:20 Mein Wecker klingelt. Schlummerfunktion.
07:24 Ich beobachte eine Eidechse, die sich in unser Zimmer verirrt hat. Sie entkommt schließlich durch den Fensterspalt.
07:29 Mein Wecker klingelt erneut. Diesmal wird er ausgestellt.
07:32 Es kommt mir vor, als ob die Dusche seit meiner Ankunft kälter geworden ist. Oder ich hab mich ans Klima gewöhnt? Oder ist das Wetter kälter geworden? Hmm.
07:45 Ein Becher Saft zum Frühstück reicht mir. Ich begrüße mit einem „Buenas!“ (Die coolen Leute lassen hier das dias, tardes oder noches weg…) unsere Köchin Esther, die soeben ihre Arbeit begonnen hat.
08:07 Die 8-Uhr-Besprechung beginnt nach südamerikanischer Zeit überpünktlich. Unsere 2 Leiter, die Lehrerin, Petra, Johanna und ich sind anwesend. Sie beginnt mit einer kleinen Andacht. Dann eine Lagebesprechung. Neue Kinder sollen aufgenommen werden. Eine neue Lerngruppe soll eingerichtet werden für Kinder, die noch nicht zur Schule gehen, weil sie zu alt für die 1. Klasse sind, dort aber trotzdem nicht mitkommen. Es sollen ihnen die Basis von Schreiben, Lesen und Rechnen beigebracht werden. So sollen sie ab Februar in die 4. Klasse gehen können.
08:45 Meine Aufmerksamkeit gleitet dahin. Einer Diskussion in einer Sprache, die man kaum kann zu folgen und das Ganze dann noch in einer ebenso fremden Sprache übersetzt zu bekommen ist extrem anstrengend.
09:00 Endlich fertig! Das Tor wird aufgeschlossen, die Morgengruppe wartet schon davor.
09:08 Ich setzte mich auf die Terrasse und während die acht Kinder frühstücken, schreibe ich den bisherigen Tagesablauf auf und beobachte dabei wie Petra unsere drei Schildkröten füttert.
09:19 Anderson, unser Maler, oder Hausmeister, oder was auch immer (ich hab noch nicht so ganz verstanden, was er ist... Zuerst dachte ich er würde nur unser Zimmer streichen. Doch als er damit fertig war, war er am nächsten Tag einfach wieder da. Und so geht das die ganze Zeit. Immer wenn ich denke, er hat alles erledigt ist er am nächsten Tag wieder da. Hat das Büro gestrichen, das Besprechungszimmer, hat ein Fliegengitter angebracht… Da gabs doch mal so einen Werbeslogan? Jippiejajajippiejippiejey!) beginnt seine Arbeit. Das animiert mich es ihm gleich zu tun und mich daran zu machen, noch ein paar Buchstaben auszuschneiden – für den dieswöchigen Bibelvers für den Kindergottesdienst am Freitag.
09:30 Eins der Mädchen (das vom ersten Abend) wurde von einer Raupe gebissen (das ist jedenfalls das, was ich verstanden hab) und darf jetzt auf der Terrasse in der Hängematte liegen. Die anderen Kinder lernen unterdessen, wie man nett und angemessen miteinander in Gesprächen umgeht.
09:45 Die Kiddies gucken jetzt einen Film – über einen Delfin, der seine Träume leben will. Das soll die Vorstellungskraft fördern. Denn da die Kinder zuhause den ganzen Tag nur Telenovelas zu sehen bekommen und auch keine Bücher lesen, ist schon ein sprechender Delfin ein phantastisches Erlebnis. Ich setz mich Petra daneben, damit niemand quatscht oder rumturnt.
09:55 Matilde kommt vorbei. Sie ist 14 Jahre alt und ist mal regelmäßig ins Projekt gekommen. Seit einiger Zeit allerdings nicht mehr, was - wie wir am Montag, als wir sie zu Hause besucht haben, feststellen konnten - daran liegt, dass sie schwanger ist. Sie ist hier für ein Gespräch mit Petra, die ihr einige Tipps geben will, einfach mit ihr über die Situation reden will und sie vor allem von der Idee abbringen will, mit ihren Freund nach Venezuela abzuhauen Sie erhoffen sich dort ein besseres Leben.
11:03 Der Film endet damit, dass der Delfin während einer Sonnenfinsternis auf einer Megawelle surft. Ich hab nicht wirklich verstanden, worum der Film ging.
11:20 Nachdem die Kinder über ihre eigenen Träume gesprochen haben, gibt’s Essen für sie. Ich schenke den Saft aus und mach mich danach wieder ans rumschnipseln.
12:00 Unsere neuen Schränke sind fertig! 2 Tage haben die Männer dafür gebraucht – für einen eher kleinen Kleiderschrank und eine Kommode! Nun ja – die sind eben nicht so erfahren im Möbel selber aufbauen wie wir Ikeanationen.
12:10 Es gibt essen! Und ich darf mal wieder das Tischgebet sprechen. Ich glaub die mögen das, wenn ich auf Deutsch bete. Aber ich mein, ich könnte auch ganz fürchterliche Dinge sagen - niemand würde es merken. Aber ich danke natürlich nur fürs Essen gedankt und wünsche uns noch einen guten Tag.
12:25 Man fragt mich, ob ich nicht mal was typisch Deutsches kochen will… Hilfe! Was ist typisch deutsch? Habt ihr vielleicht ne gute Idee? Und bitte erspart mir das Sauerkrautklischee.
12:53 Siesta – ich check mal kurz meine Mails und Facebook…
13:12 Ich opfere meine Siesta und mache mit dem Ausschneiden weiter, da ich ein bisschen hinterher bin…
13:19 Petra zeigt mir auf Youtube ein Video, wo die australische Heidi Klum bei „Australias Next Topmodel“ die falsche Siegerin kürt – peinlich!
13:35 Die Nachmittagstruppe trudelt ein – nur 4 Kinder.
13:41 Ein Nachzügler. 5 Kinder bekommen essen.
13:50 Ein mysteriöser englischsprechender, grauhaariger Mann betritt das Projekt…
13:55 Er ist offenbar hier, um sich das Promovideo des Projekts anzusehen. Vielleicht ein zukünftiger Sponsor? (Apropos: Promo-Video El Refugio)
14:04 Alle Buchstaben sind ausgeschnitten und aufgeklebt. Jetzt bereite ich mich auf die nächste Aufgabe vor – ein neues Ordnungskonzept für den Materialraum überlegen!
14:55 Es ist sehr stickig in der Materialkammer. Ich mach erst mal Pause.
15:55 Die Pause ist zum Arbeitsende geworden. Jetzt werden Vorbereitungen für den Elternabend getroffen.
16:50 Um 16:30 sollte der Elternabend anfangen. Bisher ist noch niemand da. Das ist Latino-Pünktlichkeit gepaart mit dem Desinteresse der Eltern
17:24 Ganze 4 Mütter sind gekommen… eine Stunde zu spät.
19:20 Um acht ist Gebetsabend bei unsern Leitern Martin & Rosa. Diesmal hab ich mein Geld für den Bus schon parat. Letztes Mal musste ich während der Fahrt im Stehen mein Geld zusammenzählen. Und das bei dem im vorherigen Beitrag beschriebenen Fahrstil!
20:47 Während der Gebetszeit fällt mir das immer lauter werdende Atmen von Andres (auch ein Mitarbeiter) auf (Er hat die Nase zu, deshalb fällt das so auf.) Gerade als mir in den Sinn kommt: „Der ist doch wohl nicht eingeschlafen?!“ treffen sich Johannas und meine Blicke. Ich kann nicht mehr. Johanna muss das Lachen so unterdrücken, dass sie den Raum verlässt und ins Bad geht. Ich kämpfe gefühlte 15 Minuten gegen das Lachen an. In solchen Momenten fällt einem nie etwas ein, das schrecklich genug ist, um das Lachen zu beenden…
22:20 Jeder sollte ein Spiel o.ä. vorbereiten. Mir ist nichts eingefallen, deshalb hat Petra mir vorgeschlagen, bekannte Bibelverse auf Deutsch vorzulesen – die andern müssen dann durch heraushören von bestimmten Wörtern und durch Fragen herausfinden, welcher es ist. Während ich lese: „Euch ist heute der Retter geboren…“, muss Andres so lachen, dass er nicht mehr aufhören kann – Hallo? Unsere schöne Sprache ist doch nicht lustig!? (Aber ich hab ja heute auch schon über ihn gelacht…)
23:23 Andres hat ein deutsches Wort gelernt: „Licht“ – und ist ganz begeistert. Allerdings kann ich ihn so oft korrigieren wie ich will, er sagt immer „Lichte“.
00:02 Puh! Wir verabschieden uns. (Und Andres sagt noch einmal stolz „Lichte!“) 
00:15 Der Taxifahrer fährt beinahe ein Pferd tot und findet das auch noch total lustig. Wir eher nicht so…
01:05 Endlich im Bett und mir fällt ein: ich schulde euch eigentlich noch ein Bild von einem Colectivo. Bittesehr (Gleich 2!):