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Donnerstag, 4. November 2010

Erster offizieller Zwischenbericht

Erstmal entschuldigung, dass ich euch schon wieder so einen Monsterbericht um die Ohren haue, aber ich hab wirklich versucht, mich kurz zu fassen. Es gibt halt zu viel zu erzählen. Wer alles lesen will liest es halt, wer nicht kann ja nur die Abschnitte lesen, die ihn interessieren oder er lässt es halt ganz... ;)

Das ist mein erster offizieller Zwischenbericht, in dem ich berichte, was ich in den vergangenen anderthalb Monaten so erlebt habe und wie es mir so geht.

Mein Arbeitsplatz...
Meine Arbeit
Meine Arbeit besteht hauptsächlich in der Dekoration. Das ist erst mal die Dekoration für den Freitagsgottesdienst aber auch für andere Sachen, die gerade anfallen. Letztlich durfte ich zum Beispiel auch Tisch- und Gesprächsregeln illustrieren, die die Kinder lernen sollten. Ansonsten bin ich für das „Bodega“ (die Rumpelkammer) zuständig. Erstens muss ich sie aufräumen und anschließend in Ordnung halten. Außerdem hat jeder hier einen Sauberkeitsbereich.  Meiner ist der Gebets- bzw. Besprechungsraum und die Terrasse. Die beiden muss ich morgens vor acht gefegt haben und wenn nötig auch gewischt. Zudem bin ich von montags bis mittwochs für die Essensausgabe währen den Kleingruppen und das Spülen des Geschirrs der Kinder zuständig. Und ansonsten helfe ich da, wo gerade Hilfe benötigt wird. Einmal habe ich zum Beispiel in der Kleingruppe mit den Schulanfängern, also die, die gerade lesen und schreiben lernen, drei Mädchen dabei geholfen das „f“ zu üben. Ein anderes Mal bin ich mit Petra und den Älteren in die Stadt gefahren, wo diese üben sollten Karten zu lesen. Petra hat ihnen Ziele vorgegeben und wir sind ihnen gefolgt ohne uns groß einzumischen, auch wenn sie genau in die falsche Richtung gegangen sind.

Kleingruppen...
Spanisch
Soll ich mit der guten oder der schlechten Nachricht anfangen? Ich fang mal mit der schlechten an. Da macht man schließlich so, oder? Es erscheint mir so, dass hier alle entweder Englisch sprechen oder unbedingt Englisch lernen wollen, was dazu führt dass ich viel, viel zu viel Englisch spreche. Ich meine nicht, dass ich es nicht auch cool finde, dass ich jetzt schon viel fließender Englisch spreche als vorher, aber ich bin ja nun eigentlich hier um Spanisch zu lernen. Deswegen ist meine Spanisch leider noch nicht so weit fortgeschritten wie ich mir das vielleicht wünschen würde. Aber, kommen wir zur guten Nachricht. Erstens. Womit ich eigentlich richtig zufrieden bin ist das, was ich verstehe. Das ist nämlich mittlerweile ziemlich viel. Als sehr gutes Beispiel kann ich da den Film „Das Dschungelbuch“ oder auf Spanisch „El libro de la selva“ (kleine Anekdote dazu: der Schwarzwald heißt auf Spanisch: „la selva negra“, übersetzt man das vom Dschungelbuch ausgehend, heißt er also „der schwarze Dschungel“…). Diesen Film haben wir nämlich auf Spanisch während dem Sprachkurs in Friedrichshafen, der zwei Wochen vor unserer Abreise stattgefunden hat, geschaut und da hab ich wirklich und wahrhaftig kein Wort verstanden. (Oh doch! Das Wort „tigre“ hab ich raushören können...) Letzte Woche haben wir dann mit Erschrecken festgestellt, dass Johanna - eine unserer Mitarbeiterinnen - den Film noch nie gesehen hat, weswegen wir uns verpflichtet sahen sofort in die Videothek zu gehen und sie das sofort nachholen zu lassen. Und dieses Mal habe ich tatsächlich schon deutlich mehr verstehen können. Zwar natürlich noch lange nicht alles, aber doch einiges. Zweitens. Ich hab auch schon im Buchladen nach einem Buch fragen können und grundlegend kann ich mich auch verständigen und leichte Gespräche führen. Und ich hab jetzt endlich mal angefangen ein paar Vokabeln zu lernen, wozu ich mich bis jetzt noch nicht so richtig aufraffen konnte. Es ist also noch nicht Zeit die Hoffnung aufzugeben, ich werd schon noch Spanisch lernen, ich brauch halt für alles was länger. Gut Ding will Weile haben…

Wo unsere Kinder wohnen.
Das Barrio (Stadtviertel), aus dem die Kinder unseres Projektes kommen heißt „Loma Fresca“, was übersetzt „Kühler Hügel“ heißt. Das ist aber meiner Meinung nach eine glatte Lüge. Zumindest dann, wenn man sich auf den Weg dorthin macht. Denn erstens würde es einem beim Hochsteigen wohl niemals in den Sinn kommen dieses steile Etwas einen Hügel zu nennen und zweitens gibt es wohl kein Adjektiv, das die Empfindung, wenn man oben angekommen ist, unpassender beschreibt als „kühl“. Naja, Scherz beiseite. Bevor ich das erste Mal hingegangen bin hab ich zum Glück schon das Promo-Video für das Projekt gesehen, sodass ich ein bisschen darauf vorbereitet war, was mich dort erwartet. Die Kinder leben dort nämlich wirklich in ärmsten Verhältnissen. Sie wohnen mit ihren meist sehr großen Familien (bis zu zehn Personen) in sehr kleinen Häusern. Oft steht der gesamten Familie nur ein einziges Bett zur Verfügung, wobei ich mich wirklich frage, wie das gehen soll, mit sieben Personen (oder mehr?) in einem Bett zu schlafen.
Außerdem gibt es kein Abwassersystem, weswegen alles in eine Art „Wildes Tal“ geschüttet wird, das in der Mitte des Berges liegt. Und die meisten Familien kochen auf einem offenen Feuer (was bei seltsamerweise dazu geführt dass bei mir irgendwie so ein Ranger-Camp-Gefühl aufgekommen ist. Es hat einfach gerochen wir auf einem Camp - nach Feuer und Natur und dazu dann noch das Rumgeklettere auf dem Berg...). Zudem sind die meisten Häuser extrem baufällig, da sie meist nur Holzbrettern zusammengezimmert sind und als Dach nur Wellblech haben. Außerdem gibt es keine befestigte Straße, sondern nur einen lehmigen, unebenen, mit Müll gepflasterten Weg. Wie es dort oben aussehen mag, wenn es regnet, will ich mir fast gar nicht vorstellen. Seltsamerweise haben aber so gut wie alle Familien einen Fernseher mit Kabelanschluss, der den ganzen Tag vor sich hindudelt, auch wenn niemand hinschaut. Und mindestens einer in der näheren Nachbarschaft hat auch immer eine fette Musikanlage. Trotz allem sind die Menschen aber total fröhlich und aufgeschlossen. Man hat nicht das Gefühl, dass sie ihre Situationen mit den gleichen Augen wie man selber sieht. Das ist einfach ihre Welt, die sie kennen und die Umstände, in denen sie leben empfinden sie als normal. Was ziemlich süß war, war ein Opa, der bei einer Familie gelebt hat. Der war laut Ausweis schon 102 Jahre alt, aber da er nicht wusste wann er geboren ist, war er wahrscheinlich doch noch etwas jünger. Der hatte keinen einzigen Zahn mehr im Mund, hat aber bis über beide Ohren gestrahlt als wir sie besucht haben und gesagt, dass er sich wünschte wir würden jeden Tag kommen, weil er das immer so toll findet.

Und wie gefällt es mir so?
Kindergottesdienst
Gut. Um es mal ohne Umschweife zu sagen. Ich hab noch nie zu Heimweh geneigt und hab bisher auch hier noch nicht wirklich etwas davon verspürt. Klar, manche Sachen vermisse ich natürlich. Brötchen zum Beispiel. Die Bücherei. All die lieben Leute. Glatte Haare. Den Stern oder den Spiegel. Und mein Bett. Aber im Großen und Ganzen lässt es sich hier wohl auch leben. Der nächste Supermarkt ist zu Fuß in zwei Minuten zu erreichen, was dazu führt, dass ich ziemlich oft da bin. Schließlich fällt einem immer mal was ein, was man noch braucht. Das wiederum führt dazu, dass ich glaube, dass die mich da schon kennen und merken dass ich fast jeden zweiten Tag da einkaufe. (In Deutschland wäre es vielleicht ein bisschen paranoid zu denken, dass die Leute im Supermarkt dich schon kennen, aber hey, ich bin hier in Kolumbien. Und blond. Ich bin mir sicher, die kennen mich schon.) Mit der Hitze komm ich auch klar. Entweder ich hab mich dran gewöhnt, oder es ist kälter geworden. Ich glaub ja, es ist von beidem etwas. Und mit dem Team hier komm ich auch sehr gut zurecht, auch wenn es leider niemanden gibt, der in meinem Alter ist. Und niemanden, der Deutsch spricht. Aber das wär ja auch noch schlimmer. Ich rede ja schon genug Englisch.
Kinder im Regen...

Was ist sonst noch so passiert?
Meine ersten beiden Abende. Die waren nämlich direkt sehr interessant, denn direkt an meinem ersten Abend ist ein Mädchen aus dem Projekt vor unserer Tür aufgetaucht, im Schlafanzug, barfuß und mit Blutflecken auf dem T-Shirt. Es stellte sich heraus, dass sie von zu Hause weggelaufen war, weil ihr kleiner Bruder aus dem Bett gefallen war, sich den Kopf aufgeschlagen hatte und sie nun solche Angst vor der Reaktion des Vaters hatte, da sie sich die Schuld dafür gab, dass der Bruder aus dem Bett gefallen war. Mich hat sie die ganze Zeit etwas misstrauisch beäugt, aber später hab ich dann ein paar Runden „Jenga“ mit ihr gespielt, während die anderen Mitarbeiterinnen, mit denen ich hier im Projekt lebe mit dem Vater telefoniert haben und später als er dann hier war mit ihm über die Situation geredet haben. Petra hat mir dann gesagt, dass sowas normalerweise nie passiert und ich sollte nicht denken, dass hier jeden Abend sowas los ist. Allerdings hat es dann prompt am nächsten Abend wieder an der Tür geklopft. Ein anderes Mädchen aus dem Projekt war mit ihrer Mutter hergekommen, weil sie eine Verletzung am Kopf hatte und die Leute im Krankenhaus gesagt hatten, dass sie über Nacht zur Beobachtung da bleiben sollte. Da die Mutter aber schlechte Erfahrungen mit Ärzten gemacht hatte, wollte sie eine zweite Meinung von einem Arzt einholen, der mit den Leitern unseres Projekts befreundet ist. Das war jedenfalls, das was ich verstehen konnte. Es wurde dann ein bisschen herumtelefoniert und ein Termin für den nächsten Tag ausgemacht. Als die beiden wieder gegangen waren, versicherte Petra mir etwas verzweifelt: „Wirklich, das passiert sonst nie!“ Die restlichen Tage ist es dann auch wirklich ruhig geblieben. Aber das hat mir auf jeden Fall gezeigt, dass die Kinder und auch ihre Eltern hier Vertrauenspersonen haben die ihnen helfen, wo sie können und sie hier, wie der Name des „El Refugio“ schon sagt, eine Zuflucht finden.
Unser Nachbar repariert den Abfluss.

Der Strom ist ausgefallen. Es kommt hier öfters vor, dass mal der Strom ausfällt, allerdings meist nur für ein paar Minuten. Irgendwann ist er dann allerdings für ganze neun Stunden ausgefallen. In der Mittagspause ging plötzlich das Licht aus. Und dann sitzt man da. Ohne Ventilator, ohne Internet, die Getränke im Kühlschrank werden immer wärmer und die Fleischvorräte tauen auf. Am Nachmittag hab ich noch aus Spaß gesagt, dass wir um sieben ins Bett gehen können, wenn der Strom nicht bald wieder kommt, weil es hier nämlich schon um sechs dunkel wird. Um sieben war mir dann aber tatsächlich nach ins Bett gehen zumute, da wir immer noch kein Licht hatten und man bei schwachem Kerzenschein schließlich auch nicht wacher wird. Kurz vorher waren wir nämlich noch im letzten Tageslicht zum nächsten Supermarkt (der einen eigenen Stromgenerator hat) gegangen und hatten uns eines der letzten Pakete vom leergefegten Kerzenregal gekrallt. Schließlich saß das ganze Viertel im Dunkeln. Ich bin dann aber doch noch nicht ins Bett gegangen, sondern bin mit Petra (und meiner Taschenlampe, wer hätte gedacht, dass ich mal zum Einkaufen eine Taschenlampe mitnehme…) zum Plaza Caribe dem großen Shoppingcenter in Cartagena gefahren, um der Dunkelheit zu entkommen. Und als wir dann zurückgekommen sind war das Licht dann Gott sei Dank wieder an.
 
Es hat geregnet. Bekanntlich regnet es in tropischen Regionen oft, kurz und heftig. Ob das nun schön ist, darüber allein kann man natürlich schon streiten. Wenn man aber keinen vernünftigen Abfluss im Hinterhof hat, sodass der sich bei jedem starken Regenfall in einen Swimmingpool verwandelt und bei jedem extrem starken Regen droht überzu-laufen und damit das Haus zu überfluten, ist das sicherlich nicht schön. Aber bisher konnten wir das Unglück mit reichlich Eimer schippen, der Hilfe unsere s netten Nachbarn und der von Gott aber zum Glück immer noch abwenden. Ersterer hat sich nämlich sehr heldenhaft seinen Regenanzug übergeworfen und mit einem Metallstab unser Abflussrohr freigekratzt und Letzterer hat sich bisher dann doch immer noch entschieden, den Regen zu aufhören zu lassen. Und wenn wir in nächster Zeit die Telefonnummer unseres Handwerkers wieder finden, bekommen wir vielleicht sogar wieder einen vernünftiges Abfluss im Hof.
Aber hach, was wäre das Leben ohne seine kleinen Abenteuer?

Viele Grüße nach Deutschland oder wo auch immer das hier noch gelesen wird!

Die Larissa

Die Freitagnachmittagsgruppe (Foto ist von einem professionellen Fotografen, der uns da besucht hatte...)