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Sonntag, 13. März 2011

Es ist schon gleich halb zwölf, ich bin seit sechzehn Stunden wach, da fällt mir echt keine vernünftige Überschrift mehr ein.

Ich sitze im Taxi. Woher ich komme, fragt der Taxifahrer. Aus Deutschland. Wo ich wohl Spanisch gelernt habe. Hier. Ich spreche aber gut Spanisch. Wie lange ich denn schon hier bin. 4 Monate sage ich. Mir wird bewusst, dass ich das jetzt schon seit zwei Monaten sage: 4 Monate. Dabei bin ich schon fast ein halbes Jahr hier. Ich kann euch sagen: Die Zeit rast. So schnell, dass ich nicht mal Zeit habe in meinem Gehirn die hier verbrachte Zeit jeden Monat zu aktualisieren.

Das wäre dann auch meine Entschuldigung dafür dass ich so lange nichts geschrieben hab. Seit zwei Monaten! Kommt mir vor als wäre es letzte Woche gewesen.

Da ich nun tatsächlich bald schon ein halbes Jahr hier bin, habe ich mittlerweile doch ziemlich gut eingelebt. Mein Spanisch ist soweit fortgeschritten, dass ich Gilmore Girls auf Spanisch nicht nur gucken sondern auch verstehen kann, dass ich eigene Punkte im Programm übernehmen kann (in der Jugend mache ich eine Art Mini-Malkurs) und dass ich das Prinzip eines Discountsupermarktes und andere überlebenswichtige Dinge erklären kann.
Aber auch mit der heimischen Kultur scheine ich mich mittlerweile offensichtlich schon arrangiert zu haben. Denn letztlich wollte ich in einem Gespräch einen Esel erwähnen, wusste aber das spanische Wort nicht. Als wäre es normalste der Welt, habe ich einen Esel dann folgenermaßen beschrieben: Diese Tiere – auf der Straße. Die die Wagen ziehen. Das ist an sich ja schon mal ungewöhnlich. Ich meine vor ein paar Monaten wäre mir  das sicherlich nicht eingefallen und hätte mir jemand so erklären wollen, was ein Esel ist, hätte ihn wohl auch nicht verstanden. Aber das ist noch nicht die Krönung. 
Die Krönung ist, dass, als ich im Nachhinein darüber nachdachte, dass ich davon in meinem nächsten Blogeintrag schreiben sollte, ich mir plötzlich nicht mehr sicher war, ob in Deutschland nicht doch vereinzelt Esel auf der Straße unterwegs sind. Nach eingehenden Überlegungen bin ich mir aber wieder definitiv sicher, dass es Deutschland keine Eselkarren gibt. Sollte das Gegenteil der Fall sein, sagt mir bitte Bescheid.
Ansonsten lebe ich im Moment auf einer Baustelle. Wir kriegen nämlich einen Anbau. Einen neuen Unterrichtsraum, einen größeren Materialraum, neue Toiletten für die Kinder und zwei neue Schlafzimmer. Da muss man dann auch manchmal die Augen schließen, tief durchatmen und versuchen all den Staub, Schmutz und das Chaos zu übersehen.
Der Innenhof vor einem halben Jahr und heute.
Aber dafür werden wir wahrscheinlich in ein nigelnagelneues Zimmer im neuen ersten Stock ziehen und mit etwas Glück auch noch den zweiten Stock als Dachterrasse nutzen können. Petra und ich haben uns schon ausgemalt wie wir die Dachterrasse einrichten werden, mit Pflanzen, einer schönen Bank und so weiter und hoffen, dass die Terrasse hoch genug sein wird um das Meer zu sehen! 
Die Bauarbeiter sind jeden Tag von 8 bis 5 Uhr da. Und zu meiner größten Freude samstags sogar schon um 7. Da fällt das Ausschlafen dann flach, wenn im nun nicht mehr vorhandenen Nebenzimmer, also auf der anderen Seite der Wand Mauern eingerissen werden. Deshalb gehe ich jetzt höchst diszipliniert freitags abends früh ins Bett, damit ich samstags morgens um 7 Uhr aufwachen kann und denken: „Hey, ausgeschlafen!“
Letzten Samstag mussten wir dann aber so oder so früh aufstehen, da haben wir nämlich den Boden im neuen ersten Stock betoniert.  Da sind auch noch ein paar Helfer von der Jugend-Mit-Einer-Missions Base gekommen und mit ungefähr zwanzig Leuten haben wir das Ganze in fünf Stunden geschafft. Ich habe oben Zementeimer geschleppt  und den Zement glattgestrichen, der unten halb von der Maschine, halb mit Schaufeln auf dem Boden gemischt wurde. Mittlerweile stehen sogar schon halbe Mauern, und in voraussichtlich gut einem Monat soll das ganze schon fertig sein. Aber in Kolumbien sind Zeitangaben generell sehr dehnbare Begriffe.
Die Herren beim Zementmischen...
...und die Damen beim... ähh... Plaudern.

Und wenn ich nicht gerade Zement glattziehe oder wie gewohnt diverse Dinge ausschnipsel helfe ich unserer Lehrerin Sofi in den Kleingruppen, also im Schulförderungsprogramm. Dienstags helfe ich bei der Nachmittagsgruppe, die Kinder dort gehen zum Großteil in die Schule, wenn auch alle unter ihrem Niveau, das heißt sie sind teilweise mehrere Male sitzen geblieben oder erst viel zu spät eingeschult. Am Mittwoch bin ich dann bei der Nachmittagsgruppe, wo alle Schreibanfänger sind und zum Großteil auch nicht in die Schule gehen. Trotzdem sind die Kinder schon alle über neun Jahre alt, also auch ziemlich hinterher. 
Das kann manchmal, oder auch fast immer ziemlich anstrengend sein. Denn obwohl in beiden Gruppen nicht mehr als neun Kinder sind, sind sie wahrhaftig schwerer zu hüten als ein Sack Flöhe. Die Jungs finden ständig einen Grund sich gegenseitig zu schlagen, zu treten oder zu würgen. Die Mädchen weinen schon wenn sie den Jungs nur beim Kämpfen zusehen und verkriechen sich unterm Stuhl. Außerdem wird auch gerne auf der Mauer rumgeturnt, sich auf den Boden gelegt, unter den Tisch, auf den Tisch, die Katze malträtiert oder mit dem Fahrrad im Hof rumgefahren. Da außerdem auch absolut keine Frustrationstoleranz vorliegt gibt es ständig Grund die Arbeit zu verweigern, das Arbeitsblatt zu zerknüllen oder beleidigt von Dannen zu ziehen.

Soweit der Extremfall. Natürlich läuft das nicht ständig so, aber es kann schon sehr Nervenraubend sein. Allerdings gibt es auch hin und wieder sowas wie kleine Wunder. Zum Beispiel wenn Kinder, die normalerweise die reinsten Rabauken sind eine halbe Stunde am Stück ruhig und konzentriert arbeiten.
Damit ich den Kindern auch helfen kann musste ich mir von Sofi erst mal wieder erklären lassen, wie man schriftlich multipliziert und minusrechnet. Aber nachdem ich wieder einen kleinen Denkanstoß bekommen hab, kann ich jetzt beim Rechnen helfen und auch bei den Schreibaufgaben – mithilfe meines Wörterbuchs…
Tja uns sonst hab ich mit der Hilfe von Petra angefangen, vor dem Gemeinschaftszimmer eine Fensteraussicht zu malen. Da hat man nämlich früher auf eine kahle Betonwand geschaut, heute blickt man auf ein immerhin fast fertiges Rheintal.



So verbleibe ich mit ganz vielen lieben Saludos an alle meine lieben Amigos in Alemania!

Larissa

P.S.: Markiert euch den 15. September ganz dick im Kalender, dann hat mich Deutschland nämlich wieder!